
In der heutigen Architektur gilt nach wie vor die Vergangenheit als Inspiration in den Entwurfsprozess miteinzubeziehen und auf bereits bewährte Stilmittel zurückzugreifen, um ein vielfältiges Stadtbild zu erreichen. Die Gratwanderung zwischen dem Wunsch nach Bewahrung und der Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Nutzung dieser historischen Gebäuden führt immer wieder zu Diskussionen. Die Chancen für diese einmaligen historischen Bauwerke erhöht sich jedoch, wenn die Bevölkerung diese Bauten schätzen gelernt hat.
Soziale Not in Augsburg
Anfang des 19. Jahrhunderts waren Lebensrisiken nicht durch eine entsprechende staatliche Gesetzgebung abgedeckt. Wer aufgrund von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität und Alter nicht mehr arbeiten konnte, musste auf familiäre Unterstützung, ein sehr unvollkommenes System städtischer Armenpflege oder schlecht organisierte christliche Mildtätigkeit hoffen.
Der Wandel der Sozialstruktur von einer agrarischen und gewerblichen Wirtschaftsweise zu einer industriellen, brachte tiefgreifende Veränderungen im gesellschaftlichen Gefüge der Stadt. Ungenügender Lohn in Fabriken zwang Frau und Kinder, außerhalb des Hauses, zum Verdienst des Mannes beizutragen. Krankenpflege und Kinderbetreung durch die Familie war nun nicht mehr gegeben.

Diakonischer Aufbruch
Nach anfänglichen Schwierigkeiten und einer internen Krise 1870/71 bat man das Stuttgarter Diakonissenhaus um Hilfe, welches als Bedingung einen Seelsorger für die Anstalt stellte. Aus diesen Grund wurde 1872 Stadtvikar von St. Ulrich, Friedrich Boeckh als Seelsorger und Inspektor eingestellt. Unter dem 28-jährigen Rektor Boeckh und der aus Stuttgart stammenden 51-jährigen Oberin Pauline Fischer erfuhr die Anstalt einen stetigen geistlichen und diakonischen Aufbruch. Die Anzahl der Schwestern stieg kontinuierlich an, es konnten auswärtige Stationen ausgebaut werden und sich neuen Aufgaben, wie der Arbeit mit Kindern, gewidmet werden.

Baumaßnahmen
Trotz anfänglicher Gegenwehr seitens Behörden und Bürger, wurde am 7. März 1991 die baupolizeiliche Genehmigung, entspricht der heutigen Baugenehmigung, zur Errichtung eines Mutter- und Krankenhauses an der Frölichstraße 17, erteilt. Des Weiteren errichtete Jean Keller in den darauf folgenden Jahren eine Kinderbewahranstalt, die Paulinenplfege, sowie das Feierabendhaus der Schwestern auf dem Gelände der Diakonissenanstalt.
Bis heute prägt dieser aufstrebende nach vorne schauende Charakter die evangelische Diakonissenanstalt Augsburg und ihre vielen realisierten Baumaßnahmen.

Entwicklung Diakonissensanstalt 1893 - 2021
Treppenaufgang
Der Treppenraum wurde offen und hell erbaut und wirkt durch die verwendeten Materialen sehr hochwertig. Hier finden sich neugotische Türen mit Buntglas und gotisiernde Kapitelle. Beim Geländer sowie den Deckenkasetten wurde dagegen auf gotische Elemente verzichtet. Die Haupttreppe ist freitragend und aus Pappenheimer Marmor konstruiert. Sie wird durch ein eisernes Gitter umrahmt.

Originalzustand
In den folgenden Zitaten spricht der damalige Rektor Friedrich Boekh über Architekt Jean Keller in höchsten Tönen, er nennt ihn „einen ebenso erfahrenen und umsichtigen Techniker, als einen Mann von sehr gutem Geschmack.“ Außerdem erwähnt er, dass „Unschönes [wird] kaum im oder am Bau gefunden werde[n]. Die Kapelle wird ein Meisterstück - ohne daß der Kostenvoranschlag überschritten wird.“
„Das Werk lobt den Meister. Es bekundet in der Tat eine hohe Meisterschaft, so ein Diakonissen- und Krankenhaus und sein Kleinod, die Kapelle, zu bauen!“
„Die Kapelle, 15m lang, 8 m breit, 12 m hoch, ist ein Schmuckkästchen der Anstalt und die Freude aller.“

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